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Auf dem Weg zur Normalität

(Bericht auf GEW.de vom März 2014 von Kathrin Hedtke)

Islamunterricht setzt sich langsam als „normales“ Lehrfach durch. Nach Nordrhein-Westfalen haben jetzt auch Hessen und Niedersachsen das neue Fach eingeführt. In vielen Bundesländern laufen Modellprojekte. Größtes Problem ist der Mangel an qualifizierten Lehrkräften.

Die Lehrerin Suzan Demir hat einen mintgrünen Teppich mit orientalischen Ornamenten mitgebracht: „Wer weiß, was das ist?“ Sofort strecken mehrere Kinder die Arme in die Luft. „Das ist ein Teppich, damit man beten kann“, ruft die sechsjährige Fatma. Darin sind sich die Erstklässler einig, auch wenn den meisten das Wort „Gebetsteppich“ noch etwas holprig über die Lippen kommt. Schon schwieriger ist die Frage: Wie oft beten Muslime? Fünfmal. Die junge Lehrerin im kurzen Strickkleid zählt es an ihren Fingern ab: morgens, mittags, nachmittags, abends und nachts. Trotz mehrmaliger Wiederholung verhaspeln sich die Kinder immer wieder. Als es endlich klappt, fragt ein Mädchen: „Kriegen wir jetzt ein Bonbon?“ Suzan Demir schüttelt den Kopf. Aber wer nachher mit Buntstiften den Gebetsteppich auf dem Arbeitsblatt schön ausmalt, bekommt einen Stempel ins Heft.

Seit diesem Schuljahr steht bei den Erstklässlern der Brüder-Grimm-Schule in Wiesbaden bekenntnisorientierter Islamunterricht auf dem Stundenplan. Das neue Fach wird in Hessen zunächst an 27 Grundschulen angeboten, vor allem im Rhein-Main-Gebiet. „Das ist kein Modellprojekt, sondern ein Pflichtfach, analog zum katholischen und evangelischen Religionsunterricht“, betont die Koordinatorin für den Islamunterricht im hessischen Kultusministerium, Nurgül Altuntas. Das heißt: Die Noten spielen für die Versetzung eine Rolle. Und es unterrichten nur staatlich ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer nach einem festen Lehrplan. „Die Nachfrage ist sehr groß“, so Altuntas. Sie kann derzeit nicht gedeckt werden. Denn es gibt noch nicht genug Lehrkräfte. Das Angebot soll sukzessive ausgebaut werden.

Auch in den anderen Bundesländern tut sich einiges. „In der Zielsetzung sind sich alle einig“, sagt der Leiter des Instituts für Islamische Theologie der Universität Osnabrück, Bülent Ucar. Für seinen Geschmack geht es mit der Einführung des Islamunterrichts in einigen Ländern noch zu langsam voran, doch immerhin steht fest: „Alle wollen dahin.“ Berlin, Hamburg und Bremen gehen beim Religionsunterricht zwar generell einen anderen Weg. Doch ob in Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz oder Schleswig-Holstein, überall laufen Modellversuche. Ab dem Schuljahr 2015/16 startet auch im Saarland an einigen Grundschulen ein Pilotprojekt. Andere Länder sind schon einen Schritt weiter. Nordrhein-Westfalen hat im Sommer 2012 den Anfang gemacht – und den Islamunterricht als ordentliches Lehrfach eingeführt. In diesem Schuljahr sind Hessen und Niedersachsen hinzugekommen.

Der Osnabrücker Islamwissenschaftler sieht darin einen „Beitrag zur Normalisierung im Umgang mit Muslimen in Deutschland“. In der Bundesrepublik lebten rund vier Millionen Muslime, teilweise in der dritten oder vierten Generation. Der Institutsleiter schätzt, dass es etwa 900 000 muslimische Schüler gibt. Sie hätten ein Recht darauf, in der Schule mehr über ihre Religion zu erfahren – genau wie ihre evangelischen und katholischen Klassenkameraden.

Gleiches Recht für alle

Auch die GEW findet es gut, dass die Ungleichbehandlung abgeschafft wird. „Gleiches Recht für alle“, betont GEW-Vorstandsmitglied Ilka Hoffmann. So lange es kirchlich getragenen christlichen Religionsunterricht gebe, müsse diese Möglichkeit auch anderen Glaubensgemeinschaften gewährt werden. „Oder man muss sagen, so etwas gibt es generell nicht“, fügt die Gewerkschafterin hinzu. Wichtig sei, dass der Unterricht unter staatlicher Verantwortung steht und curriculare Standards gelten. „Es muss eine gewisse Kontrolle geben“, sagt Hoffmann. Ihrer Meinung nach war der Schritt der Bundesländer überfällig.

Obwohl alle Länder das gleiche Ziel haben, gibt es bei der Umsetzung große Unterschiede. Hessen rühmt sich damit, als erstes Bundesland einen bekenntnisorientierten Islamunterricht auf Grundlage des Grundgesetzes eingeführt zu haben. Die Verfassung schreibt in Artikel 7 Absatz 3 vor, dass der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt wird. Doch ein Kooperationspartner – vergleichbar mit der katholischen oder evangelischen Kirche – fehlte bislang. Hessen löste das Problem, indem es den Landesverband der Türkisch-Islamischen Union (Ditib) und die Ahmadiyya-Gemeinde als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt hat. „Das ist ein Novum“, bekräftigt Ucar. Vergleichbar sei in der Praxis das Modell in Niedersachsen: Dort wurde ein Beirat eingerichtet, der sich aus Vertretern muslimischer Verbände zusammensetzt. Sie sind beteiligt an der Auswahl der Lehrkräfte und der Entwicklung von Lehrplänen. Auch in Nordrhein-Westfalen gibt es einen Beirat, allerdings wird hier die Hälfte der Mitglieder vom Schulministerium ausgewählt.

Der Professor für islamische Religionslehre an der Universität Erlangen, Harry Harun Behr, hält diese formalen Fragen für unerheblich. „Wichtig ist, dass es ein zuverlässiges Modell ist“, betont er. Wenn die Schülerinnen und Schüler mit dem Islamunterricht beginnen, müssten sie theoretisch die Chance haben, später einmal in dem Fach die Abiturprüfung abzulegen. „Es muss eine Bestandsgarantie geben.“ Diesbezüglich seien alle Bundesländer auf einem sehr guten Weg. Trotzdem glaubt Behr: „Der Entwicklungsprozess wird noch mindestens eine Generation dauern, bis Normalität eingekehrt ist.“ Dies hängt in erster Linie damit zusammen, dass erst noch ausreichend Lehrkräfte für den Islamunterricht ausgebildet werden müssen. Das dauert. Allein in Bayern bräuchte es 1000 Lehrerinnen und Lehrer, um die Nachfrage der Schulen zu decken, so der Professor. Deshalb müssen seiner Meinung nach noch mehr Standorte für die Lehrerausbildung eingerichtet werden. Derzeit können künftige Islamlehrkräfte an den Zentren für Islamische Theologie in Osnabrück/Münster, Erlangen/Nürnberg, Frankfurt/Gießen und Tübingen studieren.

Auch in Hessen kostete es einige Anstrengung, für die Einführung des neuen Fachs überhaupt Lehrkräfte zu finden. „Das war sehr schwierig“, berichtet Altuntas vom Kultusministerium. Die Mitarbeiter setzten auf persönliche Akquise: Sie riefen alle Lehrerinnen und Lehrer muslimischen Glaubens an, die ihnen einfielen. Schließlich erklärten sich rund 20 Lehrkräfte bereit, an der einjährigen Weiterbildung der Justus-Liebig-Universität Gießen teilzunehmen. Dafür nehmen sie einigen Aufwand in Kauf: Der Kurs umfasst 240 Unterrichtsstunden, es gibt Klausuren und Prüfungen. Studium und Lehre laufen parallel.

Wissensdefizite

Auch von Suzan Demir verlangt die neue Aufgabe großen Einsatz. Eigentlich unterrichtet die 27-Jährige Mathe und Chemie an einer Schule im Taunus in der Sekundarstufe I. Zusätzlich nimmt sie nun einmal pro Woche an der vierstündigen Weiterbildung teil. Und jeden Donnerstag setzt sie sich direkt nach Schulschluss ins Auto und fährt etwa 40 Minuten in die Grundschule nach Wiesbaden. Trotzdem hat die junge Lehrerin nicht lange gezögert. Die Einführung des Islamunterrichts hätte schon viel früher passieren müssen, betont Demir. „Deswegen möchte ich das unterstützen.“ Sie habe beobachtet, dass viele muslimische Schülerinnen und Schüler ihre eigene Religion nicht richtig kennen. Das sei ein Mangel. Viel wüssten sie nur vom Hörensagen von Freunden, da flössen manchmal falsche Informationen ein. Zum Beispiel zu der Frage, ob Frauen ein Kopftuch tragen müssen. Wer den Koran gelesen habe, wisse: „Nein, müssen sie eben nicht.“

Doch so weit sind die Erstklässler in Wiesbaden noch lange nicht. Zwar hat Suzan Demir schon klargestellt, dass es nicht „Betmatte“ oder „Beteteppich“ heißt. Doch als sie die Kopien austeilt, will sie es noch einmal wissen: „Wie heißt das?“ Aya setzt an: „Gebets-“, das Mädchen stockt, Suzan Demir nickt aufmunternd, „Gebetsteppich“. Die Lehrerin klatscht. Die Sechsjährige lächelt stolz – und beginnt damit, die Muster auf dem Arbeitsblatt bunt auszumalen.